Bild: Louis A. Venetz

Wir feiern Weihnachten – Teil 1

Weihnachten – Teil 1 einer Betrachtung von Karl Rahner

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Em. Papst Benedikt XVI. (Josef Ratzinger) im Gespräch mit dem Theologen Karl Rahner, SJ

Der grosse Theologe und spirituelle Lehrer Karl Rahner hat wie kaum ein anderer in immer neuen Anläufen und neuen Perspektiven die Frage zur Sprache gebracht, wie wir Gott erfahren können. Und unermüdlich hat er betont, dass jeder Mensch grundsätzlich für eine solche Erfahrung offen ist, denn er lebt „mit den Sandkörnern des Strandes beschäftigt, am Rand des unendlichen Meeres des Geheimnisses …“. Seine Reden und Betrachtungen nehmen den Hörer und den Leser mit auf den Weg zu Knotenpunkten menschlicher Existenznicht Neues wie Liebe, Einsamkeit und Tod und regen an, in diesen Erfahrungen alltäglicher Existenz leise, aber unausweichlich die Anwesenheit des geheimnisvollen Gottes zu erfahren und zu erspüren. Wollen Sie beim Lesen der weihnachtlichen Betrachtung (Teil 1) auch MP3-Audio des Vortrags mithören? Dann klicken Sie auf folgenden Link:

Wir feiern Weihnachten. Ach Gott, das ist so ein frommer Brauch: ein Tannenbaum mit Lichtern und ein paar netten Geschenken, Spannung der Kinder und ein wenig Weihnachtsmusik ist immer schön und rührend. Und wenn das Religiöse zur Steigerung der Stimmung beigezogen wird, dann wird alles besonders schön und rührend. Wir haben ja alle, wer wird es uns verargen, so insgeheim immer ein wenig Mitleid mit uns selber und gönnen uns darum so gern ein wenig Stimmung, die friedlich und tröstlich ist. So wie man einem verweinten Kind über den Flachskopf streicht und sagt: es ist nicht so schlimm, es wird schon wieder alles gut. Ist das alles an Weihnachten? Ist das die Hauptsache? Oder ist das Schöne und Gemüthafte, das Stille und Trauliche nur das schöne, milde Echo eines Ereignisses, das eigentlich an diesem Tag gefeiert wird und irgendwo ganz anders, viel höher im Himmel, viel tiefer in den Abgründen und viel innerlicher in der Seele geschieht? Ist Weihnachtsfreude und -frieden nur eine Stimmung, in die man illusionistisch flüchtet, oder die Äusserung, die heilige Begehung eines wahrhaftigen Geschehens, zu dem man in der grossen Tapferkeit des Herzens aufbricht, damit es auch an uns und durch uns geschehe, weil es auf jeden Fall Wahrheit und Wirklichkeit ist, selbst wenn wir es nicht wahrhaben wollten, selbst wenn wir von ihm nichts mehr begriffen als ein wenig kindliche Romantik und bürgerliche Behaglichkeit?

Die Weihnacht ist mehr als ein bisschen tröstliche Stimmung. Auf das Kind, auf das eine Kind kommt es an, an diesem Tage in dieser heiligen Nacht, auf den Sohn Gottes, der Mensch wurde, auf seine Geburt. Alles andere an diesem Fest lebt davon, oder es stirbt und wird zur Illusion. Weihnachten heisst: Er ist gekommen, Er hat die Nacht hell gemacht, Er hat die Nacht unserer Finsternisse, die Nacht unserer Ängste und Hoffnungslosigkeiten zur Weihnacht, zur heiligen Nacht gemacht. Das sagt Weihnachten. Der Augenblick, da dies geschah, wirklich und für alle Zeiten, soll durch dieses Fest auch in unserem Herzen und Geist Wirklichkeit bleiben. Wenn wir Menschen so dem durchschnittlichen Empfinden unseres blinden Alltags Glauben schenkten, so müssten wir eigentlich im Grossen und Kleinen zur schrecklichen und verzweifelten Meinung kommen, dass nichts in der Welt geschieht, dass zwar ein ewiges Auf und Ab von Weltgeschehen, von Völkerschicksalen, von persönlichen Widerfahrnissen vorhanden ist, die jetzt gut und freudig und dann meist böse und traurig sind, dass aber alles letztlich ziel- und richtungslos in sich selber kreist, sich selber blind und auswegslos verzehrt, dass die Menschen die sinnlose Ziellosigkeit des Geschehens sich nur dadurch verbergen, dass die sie sich ängstlich hüten über den nächsten hinaus Tag zu denken.

Von uns her und für uns allein, sind wir ein Rätsel. Von uns her allein ein ewig grausames Rätsel, das tödlich ist. Wenn wir die Geburt dieses Kindes des heutigen Festes nur von uns her besehen würden, dann könnten wir über es und uns auch nur sprechen, düster und der Bitterkeit voll, was im 14. Kapitel bei Job steht: „Der Mensch, vom Weibe geboren, kurzen Lebens, an Sorgen satt, blüht auf wie die Blume, verwelkt, flieht hin wie ein Schatten und bleibet nicht“. Von uns aus wären wir nur wie ein kleiner Punkt Licht in einer grenzenlosen Finsternis, der nichts könnte als die Finsternis noch schrecklicher machen, wären wir eine Rechnung, die nicht aufgeht, verstossen in die Zeit, die alles zerrinnen lässt, ins Dasein gezwungen ohne gefragt zu sein, beladen mit Mühsal und Enttäuschung, sich selbst zur Qual und Strafe durch die eigene Schuld, beginnend den Tod zu leiden im Augenblick, da man geboren wird, ungesichert und gejagt, sich kindisch über all das hinwegtäuschend mit dem, was man die guten Seiten des Lebens nennt, die aber so in Wahrheit nichts wären als das raffinierte Mittel, das dafür sorgt, dass das Martyrium und die Tortur des Lebens nicht zu schnell enden. Wenn wir aber im Glauben im entschlossenen nüchternen und über alles andere hinaus tapferen Glaubens sagen: es ist Weihnacht, dann sagen wir: es ist in die Welt und in mein Leben ein Ereignis eingebrochen, das dies alles, was wir Welt und unser Leben nennen, verwandelt hat, allein dem allem ein Ziel und ein Ende gegeben hat, das dem «Nichts Neues unter der Sonne» des alten Predigers, dem Grauen der ewigen Wiederkunft des neuen Philosophen ein Ende bereitet hat, durch das unsere Nacht, die schreckliche, die kalte und öde Nacht, da Leib und Geist auf das Erfrieren warten, zur Weihnacht, zur heiligen Nacht geworden ist. Denn der Herr ist da, der Herr der Schöpfung und meines Lebens.

Er sieht nicht mehr aus dem ewigen Alles in einem und auf einmal seiner Ewigkeit bloss dem ewigen Wechsel meines verrinnenden Lebens tief unter sich zu. Der Ewige ist Zeit, der Sohn ist Mensch, die ewige Weltvernunft, die allumfassende Sinnhaftigkeit aller Wirklichkeit ist Fleisch geworden und dadurch ist die Zeit und das Menschenleben verwandelt worden, dadurch, dass Gott selbst Mensch geworden ist. Nicht insofern als er aufgehört hätte, er selbst, das ewige Wort Gottes selbst, mit all seiner Herrlichkeit und unausdenkbaren Seeligkeit zu sein. Aber er ist wahrhaft Mensch geworden und jetzt geht ihn diese Welt und ihr Schicksal selber an. Jetzt ist sie nicht nur sein Werk, sondern ein Stück von ihm selbst. Jetzt sieht er ihrem Lauf nicht mehr nur zu, jetzt ist er selber drinnen, jetzt ist ihm selbst zu Mute, wie uns zu Mute ist. Jetzt fällt auf ihn unser Los, unsere irdische Freude und unser eigener Jammer. Jetzt brauchen wir ihn nicht mehr zu suchen in den Unendlichkeiten des Himmels, in denen sich unser Geist und unser Herz weglos verlieren, jetzt ist er selbst auch auf unserer Erde, auf der es ihm nicht besser geht als uns, auf der ihm keine Sonderregelung zu Teil wurde, sondern unser aller Los: Hunger, Müdigkeit, Feindschaft, Todesangst und ein elendes Sterben.

Dass die Unendlichkeit Gottes die menschliche Enge, die Seligkeit, die tödliche Trauer der Erde, das Leben den Tod annahm, das ist die unwahrscheinlichste Wahrheit. Aber sie nur, diese finstere Nacht des Glaubens macht unsere Nächte hell, sie allein macht heilige Nächte. Was ist es denn, wenn es so ist: wir sagen das ewige Wort Gottes, in dem sich Gott selbst hat und aussagt, in dem die Unendlichkeit sich selber weiss, nimmt eine menschliche Wirklichkeit, ein menschliches Schicksal an und wird so, annehmend, Mensch.

Wir kommen aber dem Geheimnis von Weihnachten vielleicht noch näher, wenn wir umgekehrt blickend sagen: das Wort Gottes sagt sich selbst hinaus in jene stumme leere Wüste des Nichtigen und Nichtgöttlichen und indem es sich selbst so von sich selbst wegsagt und sich, sich entäussernd, selbst aussagt, wird das Menschliche. Dieses ist im Letzten nicht das fremde Angenommene, das dem Annehmenden äusserlich bleibt. Das Menschliche wird nicht geschaffen und dann so eben als das Fremde angenommen, denn dann würde es den Annehmenden nur verhüllen, wäre nur seine Vermummung oder das ihm selbst fremde Instrument der Verlautbarung, die dann selber wieder nur in Worten bestehen könnte, während das Instrument der Verlautbarung vom Worte Gottes selbst nichts aussagen würde. Es, das von Gott gewiss Unterschiedene, das Menschliche, ist aber doch gerade das, worin, nicht bloss wodurch, Gott selbst erscheint und sich selbst aussagt. Das Angenommene ist im Letzten das Ausgesagte. Es kommt selbst von ihm als seine Erscheinung her und wird nicht als seine Livré an ihn herangebracht. Das Menschliche ist genau das, was wird, wenn sich Gott selbst in die Leere des Nichtgöttlichen hineininterpretiert. Gott hat sich frei ausgesagt, weil die Liebe, die sich weggibt, das Freie ist. Aber wenn Gott sich frei aussagt, dann muss er eben wirklich sich sagen und wenn er dies tut, sagt er genau den Menschen, weil gerade darin er sich selbst sagt. Er ist im Menschen selber gesagt, weil der Mensch nicht irgendetwas, sondern die reine Verwiesenheit auf Gott ist, gar nicht verstanden werden kann, ohne über ihn hinwegzugreifen auf jenes Geheimnis, das Gott ist. Die Antwort schafft sich die Frage nach sich selbst und gibt sich ihr selbst zu eigen. Die Frage heisst Mensch, die Antwort heisst Gott: Und beide sind eins geworden im Gott-Menschen. 13:45 So ist er die Verheissung dafür, dass Gott allen seine eigene Herrlichkeit als die Erfüllung ihrer eigenen Fraglichkeit schenken will. Dass wir darum von uns und dieser Verheissung so wenig begreifen, dass wir Weihnachten so wenig verstehen, ist nicht verwunderlich: Es geht hier um die unendliche Frage, die nach allem und so nach dem ergreifend Unbegreiflichen fragt, es geht dort um die unendliche Antwort, die das Geheimnis der Unbegreiflichkeit Gottes ist. Es geht um das Geheimnis, das wir Gott nennen und das sich selbst gibt mit seiner erfüllten Unendlichkeit hinein in die bedürftige Unendlichkeit, die der Mensch ist. Wir begreifen davon, wenn man genau redet nichts, weil es sich um den Unbegreiflichen handelt. Aber wir begreifen, dass wir das Begreifliche nie für das Erlösende und Befreiende, sondern nur für das Enge und Vorläufige halten können. Und wir glauben, dass das Unbegreifliche nach dem wir fragen, weil wir die unendliche Frage sind, in Gnade nicht bloss die Ferne des Gerichtes über uns, sondern die selige Nähe sein wollte, die die Frage, ohne sie aufzuheben, selig macht, indem sie selber sie als ihre eigene stellt.

Weitere Hinweise und Quellen