Bild: Dagmar C. Venetz-Erath

Wir stehen wieder im Advent – Teil 1

Ankunft der Zukunft – Erster Teil einer Betrachtung von Karl Rahner

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Em. Papst Benedikt XVI. (Josef Ratzinger) im Gespräch mit dem Theologen Karl Rahner, SJ

Der grosse Theologe und spirituelle Lehrer Karl Rahner hat wie kaum ein anderer in immer neuen Anläufen und neuen Perspektiven die Frage zur Sprache gebracht, wie wir Gott erfahren können. Und unermüdlich hat er betont, dass jeder Mensch grundsätzlich für eine solche Erfahrung offen ist, denn er lebt „mit den Sandkörnern des Strandes beschäftigt, am Rand des unendlichen Meeres des Geheimnisses …“. Seine Reden und Betrachtungen nehmen den Hörer und den Leser mit auf den Weg zu Knotenpunkten menschlicher Existenz wie Liebe, Einsamkeit und Tod und regen an, in diesen Erfahrungen alltäglicher Existenz leise, aber unausweichlich die Anwesenheit des geheimnisvollen Gottes zu erfahren und zu erspüren. Wollen Sie beim Lesen der adventlichen Betrachtung (Teil 1) auch MP3-Audio des Vortrags mithören? Dann klicken Sie auf folgenden Link:

Wir stehen wieder im Advent. Advent, Ankunft, heisst eigentlich einmal ganz wörtlich übersetzt: Zukunft. So ist schon im Wort selbst ein seltsames Ineinander von Gegenwart und Zukunft, von Dasein und Ausständigsein, von Besitz und Erwartung ausgesprochen. So schwingt auch in der Adventsliturgie geheimnisvoll Gegenwart und Zukunft des christlichen Heiles ineinander.  Es wird in ihr gefeiert das Gedächtnis der Menschwerdung des Wortes Gottes, die schon geschah und die bleibt und die Erwartung der richtenden und endgültig erlösenden Ankunft Christi, die noch aussteht und doch schon unaufhaltsam am Kommen ist. Die adventliche Erinnerung der Liturgie macht alles zugleich innerlich und gegenwärtig:

  • das Harren der Vergangenheit der vorchristlichen Väter auf das Kommen des noch in Gott allein verborgenen Heiles,
  • die Gegenwart des in der Welt schon geschehenen aber noch verhüllten Heils in Christus,
  • die Zukunft des in der Verwandlung der Welt zu enthüllenden Heiles.

Es muss das Gedächtnis die Erinnerung all dieser drei geheimnisvollen Stadien unserer Heilszeit gefeiert werden. Die Innerlichkeit der heillosen Vergangenheit muss bleiben, weil wir sonst nicht wüssten, was und wer wir aus uns allein wären, weil wir sonst vergässen, dass das Heil der Gnade Gottes von ihm aus auf uns zukommen musste, wenn wir es haben sollen. Die Innerlichkeit des schon geschehenen Heiles, weil es, das schon Erfolgte, nur unser ist, wenn wir es im Glauben aufgenommen haben als unsere Gegenwart. Die Innerlichkeit der Zukunft, weil das gegenwärtige Heil nur da ist, wenn es aufgenommen wird als verheissendes Angeld der endgültigen Erlösung. Die Zeit ist erlösungsbedürftig. Sie ist nach der Lehre des neuen Testamentes untertan den Mächten und Gewalten, die versklavend über dem Menschen walten, wenn er nicht in Christo, es wissend oder nicht, erlöst ist und in seiner Erlöstheit die Zeit selbst mit hinein erlöst in die Freiheit Gottes. Erde, Leib, Zeit, Liebe und alle die andern grossen Mächte des menschlichen Daseins sind ja nicht die Selbstverständlichkeiten, auf denen das menschliche Dasein nur aufruht und sich in Heil und Unheil fügt, ohne dass diese Mächte selber fraglich wären. Die Welt und ihre Zeitlichkeit sind gerade nicht die Bühne auf der der Mensch sein Dasein spielt und die, selbst gleichgültig und unverändert, die Tragödie oder göttliche Komödie des Menschlichen bloss tragen. Die heilende und vergöttlichende Heilstat Gottes meint den Menschen, aber darum und darin auch seine Welt, meint umgestaltend den Menschen in seinem letzten Bestand und darum auch seine Zeitlichkeit. Sie selbst ist einbezogen in das Drama des Heils, in dem Gott selbst seine eigene Geschichte treibt. Sie selbst wird ins Heil gebracht, ist Gegenstand und nicht nur Ermöglichung der Geschichte, weil diese Geschichte die Gottes selbst ist, der die Zeit schafft und sie nicht für sein Handeln voraussetzt. Und darum ist die Zeit selbst erlösungsfähig, d.h. erfüllbar mit der Wirklichkeit Gottes. Sie ist ein Geschöpf Gottes, sie ist darum gut. Sie sagt auf ihre Weise die Ewigkeit Gottes aus und steht nicht bloss zu dem zeitüberhobenen, nie zerrinnenden Dasein Gottes im Gegensatz. Sie ist die Blühte für jene Frucht, die wir die unbegreifliche Vollendung nennen. Sie selbst will ausreifen in jenes Unsagbare, das vor und hinter ihr, über und unter ihr ist und in ihr liegt, das wir die Ewigkeit nennen, das wir falsch verstanden hätten und in Zeit verkehrt, wenn wir es als eine endlose Erstreckung nach der Zeit, also selbst als die Absolutheit der Zeit denken würden. Wir können uns zwar die Ewigkeit als den Grund und die Frucht der Zeit nur vorstellen, indem wir sie hinter der von uns überschaubaren Zeit, die mit dem Tod schliesst, ins Endlose verlaufen lassen. Aber so bringen wir uns eigentlich nur die Zeit selbst in ihrer eigenen Endlichkeit und Vorläufigkeit und Unvollendbarkeit, sie ins Unbegreifliche übersteigend, zum Bewusstsein, damit wir in diesem Überstieg der Zeit, die Zeit verneinend, bejahen, was wir uns nicht mehr vorstellen können: die vollendende und vollendete Endgültigkeit, die wir die Ewigkeit des Heiles nennen. Würden wir diese Ewigkeit wirklich als endlose Zeit ergreifen wollen, dann wäre sie selber Zeit, nicht ihre Vollendung und ihre Frucht, dann wäre die Ewigkeit des Menschen die Verdammnis zum immer Vorläufigen und nie Vollendeten. Kein Wunder, dass es Menschen gibt, die nicht ewig sein wollen. Sie denken sich die Ewigkeit als die Bleibendheit der Zeit und in der Zeit. So gedacht wäre die Zeit weder erlösungsbedürftig noch erlösbar, sondern durch eine falsche Ewigkeit verdammt, die die Endgültigkeit der bleibenden Zeit wäre. Freilich erlöst sich die Zeit nicht selbst in ihre, sie überhebende und aufhebende Ewigkeit hinein, in der sie gerettet und überholt zumal ist. Sie für sich allein kann nur nach ihrer Ewigkeit suchend weiterlaufen oder ausrinnen, erfüllen kann sie sich nicht selbst allein. In ihr geschieht zwar das Verlangen, der Anspruch nach der Endgültigkeit der freien Liebe, der die Zeit den Raum bietet in absoluter Entscheidung das Eindeutige, Allesumfassende und Endgültige zu werden.

08:24 Aber die Endgültigkeit, die die Zeit aus einem ungesegneten Schoss allein gebären könnte, wäre eben die Unüberholbarkeit und das Offenkundigwerden dieses Verlangens, nicht seine Erfüllung.

Dass aus ihr die erfüllte Endgültigkeit geboren wird, dass sie erlöst wird und nicht nur erlösbar ist, kommt daher, dass Gott selbst in sie eingegangen ist. Davon, dass er sie darum und dadurch und dazu geschaffen hat, damit sie als die Möglichkeit seines eigenen Aussichausgehens vor ihm hergehe. Weil die Zeit die Möglichkeit des Adventes Gottes ist und so von Gott gewollt und geschaffen wurde, darum läuft sie nicht ins unabsehbar Leere, sondern holt, indem sie sich zeitigt, nur ihren wahren Anfang ein, von dem sie herkommt, den mit Gottes in selbstverschwendender Liebe erfüllten Anfang. So ist eigentlich erst durch die Tat Gottes in Christus die Zeit so geworden, wie sie sein sollte. Sie ist nicht mehr die unerlöste Zeit, nicht mehr das trostlose leerverlaufende und zerrinnende Hintereinander von Zeitstücken, von denen jedes das vorausgehende tötet und vergangen macht, um selber zu sein, indem es selbstvergehend stirbt, um der andrängenden, selber schon tödlich verwundeten Zukunft Platz zu machen.

Die Zeit selbst ist erlöst, sie hat eine Mitte erhalten, die die Vergangenheit bewahren kann und in die Zukunft hineinnimmt, eine Mitte, die die Gegenwart mit der wirklich schon gewirkten Zukunft erfüllt und die lebendig bleibende Gegenwart in die ewige Zukunft ausrichtet. Denn in diese zu erlösende Zeit ist der Advent des menschgewordenen Gottes hineingekommen, Christi, der gestern, heute und in Ewigkeit ist, Christi, von dem weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges die trennen kann, die an ihn glauben und in der Liebe mit ihm verbunden sind. Von daher sollten wir in dieser Adventszeit wieder besser den adventlichen Glauben begreifen und besser unser Herz dafür zurüsten. Wir fassen den christlichen Glauben oft zu einseitig nur als ein Für-wahr-halten einer bestimmten Reihe festigender Tatsachen auf, wobei diese Tatsachen in sich allein stehen und wir eben unsere Gedanken über sie haben. Aber diese Tatsachen sind in ihrem Kern ein noch dauerndes Geschehen, in dem wir mitten drin stehen und in das wir gerade durch den Glauben einbezogen werden, so dass es uns selbst mitnimmt. Wir nehmen in der Gegenwart des Glaubens nicht bloss Notiz von einem nur früher einmal geschehenen Ereignis und dessen überzeitlichen Voraussetzung, wir nehmen nicht nur zur Kenntnis, dass später in einer noch ganz unwirklichen Zukunft wieder einmal in der Heilsgeschichte sich etwas ereignen soll. Der Glaubende hat nicht nur bestimmte Gedanken und Meinungen über etwas, die dem Gemeinten äusserlich bleiben. Seine Weltanschauung schaut nicht bloss etwas an, das dem Beschauenden äusserlich bliebe und in ihm nur durch die Gedanken darüber vertreten wäre. Im Glauben denkt der Glaubende nicht nur seine Gedanken, sondern der Glaube ist darüber hinaus in und durch uns und unsere Freiheit das Werk der Gnade Gottes, in dem die Wirklichkeit des Gedachten selbst in uns aufgenommen wird. Im Glaubenden selbst ereignet sich durch den Glauben sein Heil in aller Wirklichkeit. Es kommt das Heil selbst aus der Vergangenheit bei ihm in seiner Gegenwart an und wird Gegenwart in seiner Zeit. Christus lebt in ihm. Der Glaubende wird dem inneren Gesetz jenes Geschehens, das geglaubt wird, untertan, er wird geheimnisvoll dem menschgewordenen Sohn gleichzeitig, er stirbt und lebt mit ihm. Denn Christus lebt durch den Glauben im Heiligen Geist in dem Glaubenden. Und dieser Geist gestaltet das Leben des Glaubenden in aller Wahrheit und Wirklichkeit immer mehr gleich dem Leben und Schicksal des menschgewordenen Wortes des Vaters. Dadurch ist aber Christus auch als die Zukunft des Glaubenden in diesem schon geheimnisvoll gegenwärtig. Diese Zukunft ist im Glaubenden schon verborgen angekommen. Er ist verborgen schon, was er enthüllt sein wird. Es hat schon begonnen, was einmal unsre Vollendung sein wird und es beginnt diese Wirklichkeit eben dadurch, dass wir glauben. Dadurch sind wir die Menschen Gottes und die Kinder des ewigen Lebens, in denen die Kräfte der Ewigkeit schon wirksame Wirklichkeit geworden sind. Das sich jetzt ereignende Geschehen, das anhob mit der Menschwerdung des Sohnes Gottes, der wirklichen und nicht bloss gedanklichen Versöhnung von Gott und Welt und das sich vollendet in seiner Wiederkunft, die nicht so sehr eine zweite Ankunft als viel mehr die Vollendung der einen in Christus geschehenden Einstiftung des Lebens Gottes selbst in seine Welt ist, geht mitten durch den Glaubenden hindurch, weil und insofern er glaubt und liebt. Der Glaubende hat schon seine Zukunft, denn diese ist Christus und er ist in ihm. Der Glaubende hofft und harrt seiner Zukunft, nicht als eines noch unwirklich Ausständigen, sondern eher als eines eben jetzt, da er glaubt, in ihm sich Ereignenden und zu seiner sich enthüllenden Vollendung Aufwachsenden.

Weitere Hinweise und Quellen