Ankunft der Zukunft – Zweiter Teil einer Betrachtung von Karl Rahner
Der grosse Theologe und spirituelle Lehrer Karl Rahner hat wie kaum ein anderer in immer neuen Anläufen und neuen Perspektiven die Frage zur Sprache gebracht, wie wir Gott erfahren können. Und unermüdlich hat er betont, dass jeder Mensch grundsätzlich für eine solche Erfahrung offen ist, denn er lebt „mit den Sandkörnern des Strandes beschäftigt, am Rand des unendlichen Meeres des Geheimnisses …“. Seine Reden und Betrachtungen nehmen den Hörer und den Leser mit auf den Weg zu Knotenpunkten menschlicher Existenz wie Liebe, Einsamkeit und Tod und regen an, in diesen Erfahrungen alltäglicher Existenz leise, aber unausweichlich die Anwesenheit des geheimnisvollen Gottes zu erfahren und zu erspüren. Wollen Sie beim Lesen der adventlichen Betrachtung (Teil 2) auch MP3-Audio des Vortrags mithören? Dann klicken Sie auf folgenden Link.
Seien wir in dieser Zeit zwischen Herbst und Winter in diesem Advent die mehr und inniger Glaubenden als bisher. Solche herbstlich-winterliche Zeit kann uns, wenn der Glaube wenigstens schon wie ein kleines Korn da ist, zu innigerem Erinnern des Glaubens einladen. In dieser herbstlichen Zeit, da es zu wintern beginnt, wird die Welt stiller. Alles um uns herum wird farblos und blass, es fröstelt uns. Man ist wenig aufgelegt zu buntem Treiben und lautem Lärm. Man ist lieber und leichter als in anderen Gezeiten des Jahres bei sich zu Hause und allein. Es ist wie wenn die Welt kleinlaut geworden wäre und den Mut verloren hätte, sich selbst zu behaupten, von sich überzeugt zu sein und stolz auf ihre Macht und ihr Leben. Ihr Anlauf in der schwellenden Fülle des Frühlings und des Sommers ist missglückt, denn die Fülle ist wieder verloren gegangen. Und die Tatsache, dass wieder Frühling werden wird in neuem Anlauf, macht uns im Herbst nur noch grausamer auf dieses ewige Auf und Ab der Gezeiten aufmerksam, in dem nichts wirklich Bleibendes in der Zeit zu werden scheint, wenn doch der aufsteigende Winter ebenso gültig und wahr ist wie der Frühling und Sommer. Die Zeit der Welt für sich allein zeigt in dieser Jahreszeit ihre Armut. Sie enttäuscht uns, sie kann nicht bewahren und verliert ständig in die Vergangenheit, was sie aus der Zukunft in ihre Gegenwart hinein zu gewinnen scheint. Da ist es an der Zeit, die Melancholie der Zeit zu überwinden, sich selber leise und treu zu sagen, was der Glaube uns sagt. Da ist eine Zeit, das Wort des Glaubens gläubig zu sprechen: Ich glaube an die Ewigkeit Gottes, die in unsere Zeit, in meine Zeit hineingekommen ist. Unter dem ermüdenden Auf und Ab der Zeit wächst schon heimlich das Leben, das keinen Tod mehr kennt. Es ist schon da. Es ist schon in mir, eben dadurch, dass ich glaube. Wie wenig muss ich tun, damit das Rad von Geburt und Tod in der wahren Wirklichkeit stille steht. Nur glauben muss ich an den Advent Gottes in unsere Zeit hinein, glauben, gerade indem ich die Zeit, ihr bitteres und hartes Nehmen, das sterben lässt, geduldig erleide und doch nicht meine, sie hätte das letzte Wort, das ein Nein wäre. Höre, mein Herz, Gott hat schon begonnen, seinen Advent in der Welt und in dir zu feiern. Leise und sanft so leise, dass man es überhören kann, hat er die Welt und ihre Zeit schon an sein Herz genommen, ja sein eigenes unbegreifliches Leben eingesenkt in diese Zeit, wir nennen es seine Ewigkeit und meinen damit das namenlose und ganz andere zu jener Zeit, die uns so hoffnungslos traurig macht. Und eben dies geschieht in dir selber und wird die Gnade des Glaubens genannt, jenes Abfallen der Angst vor der zerrinnenden Zeit, weil an ihr Grosses getan hat, der da mächtiger ist als die Zeit, die er geschaffen hat, um sie zu erlösen in seine Ewigkeit hinein. Ein Jetzt der Ewigkeit ist in dir, das kein Nicht-mehr hinter sich und vor sich hat, das schon begonnen, deine irdischen Augenblicke in sich hineinzusammeln. Kein heller Jubel ist dir abverlangt, armes Herz, in diesem Advent, der ja ein Leben lang dauert, da dein Advent erst endet, wenn dir gesagt wird: Geh ein in die Freude deines Herrn! Kein heller Jubel, denn dafür spürst du noch zu sehr den harten Druck der Fesseln der Zeit, auch wenn sie schon von deinen Händen und Füssen abzufallen begonnen haben. In dir muss nur leben die demütig nüchterne Freude des glaubenden Menschen, der nicht meint, das greifbar Gegenwärtige sei alles. Nur die demütige Freude, wie sie der Gefangene hat, wenn er noch im Gefängnis sitzt und eben aufstehen will, weil doch schon das Schloss von der Türe seines Verlieses abgerissen und so schon die Freiheit garantiert ist. Ist diese Freude, die adventliche Freude so schwer? Ist Resignation und verholene Verzweiflung wirklich leichter? Wäre sie nicht kindisch eigensinniger Trotz und die Bosheit des Herzens, die man nur dann richtig kennt, wenn man sie flieht, wenn man nicht mit ihr disputiert und sie gerade nicht genossen haben will, sondern sie mit dem Instinkt des ewigen Lebens flieht, des Lebens, das wir die Gnade nennen? Oder weißt du gar nicht recht, ob die adventliche Freude oder die winterliche Verzweiflung um den kalten Tod gewählt ist. Schon so zu fragen, ist falsch, weil man nie neutral fragen kann, und die zweite Antwort der Tod wäre, aus dem man sich nicht mehr befreien kann. Frage nicht, zweifle nicht, du hast, mein Herz, schon die Freude des Advents gewählt. Sage dir darum mutig gegen deine eigene Unsicherheit: Es ist Advent des grossen Gottes. Und immer wieder wirst du in den scheinbar so kleinen und selbstverständlichen Ereignissen deines Lebens plötzlich merken, dass Gott selbst in ihnen seinen Advent bei dir feiert. Hast du dies nicht schon oft erfahren? Du vergissest es nur immer wieder, weil man es in bloss sachlichem Gedächtnis nicht eigentlich behalten kann, weil man es nur weiss, wenn man es tut und dabei gar nicht auf das Tun selbst blickt. Aber sag selbst, im Augenblick, da du liebtest, wahrhaft und wirklich liebtest, dich wegliebtest und dich selbst vergassest, im Augenblick, da du in schweigender unbelohnter Tapferkeit dem Gesetz, das über dir ist, in einer Kraft, die nicht deine ist, treu bist, obzwar es niemand sieht und niemand lobt, obwohl du nicht einmal mehr einen fingierten Zuschauer dir beigesellst, im Augenblick, da du die absolute Einsamkeit annimmst, ohne sie zu fürchten, im Augenblick, da du dem Unsagbaren schweigend dich anvertraust, im Augenblick, da die Freude dich, mein Herz, erfüllt, die keinen Grund und kein Ziel zu haben scheint, weil sie sich gelöst hat von jedem dies und so und in der reinen Unendlichkeit schwingt, die des namenlosen Gottes ist, im Augenblick, da du nicht Gebete sprichst und an deinen Vorteil denkst, sondern anbetest im Geist und in der Wahrheit, das heisst verstummend dich anheim gibst in liebender Anbetung an das, worüber du nicht mehr verfügst, was dich umfasst und nie ergriffen wird, sondern nur ergreift, in solchen Augenblicken steht die Zeit wie still, wird sie erst, was sie sein will: die Geburt der Ewigkeit, sammelt sich im Grunde des Herzens die geheime Essenz dieser Zeit, die Ewigkeit, die schon da ist. Du hättest schon deutlicher ihre schweigende Gegenwart erfahren, wenn du mutiger jene Taten des Herzens getan hättest, in denen die Zeit die durch Gottes Gnade die Ewigkeit empfängt und Gott seinen eigenen Advent in solcher Zeit feiert. Es ist der Advent Gottes eigentlich immer in deinem Leben und so jetzt in diesen Wochen erst recht, wenn du für dich wahr sein lässest, was wahr ist. Es ist Advent Gottes. Gott ist da und kommt. Wenn du so gesinnt bist, kannst du es wagen, dich der seliggepriesenen Trauer auszusetzen, die in der Zeit verborgen ist. Wie schnell geht die Zeit? Wie viele haben dich schon verlassen? Wie herbstlich ist dein Leben schon geworden? Wie viele Träume sind schon ausgeträumt? Wie wenig neue Zeit kannst du dir noch erhoffen? Wie eng fühlst du dich schon umzingelt vom Tod? Wie wenig bleibt dir noch an Möglichkeiten? Du brauchst dieser Trauer nicht auszuweichen, denn du sagst: Es ist Advent. Dir zerrinnt die Zeit nicht, um der Gültigkeit unerbittlicher Vergänglichkeit Platz zu machen. Dir vergeht die Zeit, um der Gültigkeit der Liebe Platz zu machen, die Gott dir schenkt, indem er selbst sich dir gibt. Freilich auch dich ängstigt die zerrinnende Zeit. Aber es ist diese Angst doch nur die seltsame Todesangst der sterbenden Zeit, der du gar nicht fliehen sollst, weil, wenn die Zeit nicht stürbe unter Todesschmerzen, die Ewigkeit nicht würde geboren werden. Fürchte dich also nicht vor der ängstigenden Trauer der Zeit. Du gleichst dann vielleicht zum Verwechseln denen, die trauern, weil sie keine Hoffnung haben, oder meinen, keine zu haben. Lass die Ungläubigen zu ihrer falschen Beruhigung dir ruhig vorwerfen, du sähest zu unerlöst aus. Auch das schadet nichts. Du leidest auch in solcher Trauer die Angst des Todes aus durch den am Kreuz die Zeit in das bleibende Heute der Ewigkeit hineinstarb. Du hast nicht nötig, den fröhlich Unbeschwerten zu spielen im Trauerspiel der Zeit. Du brauchst nur zu hoffen und zu bitten, dass du ein Glaubender an die Ewigkeit in der Zeit durch den Advent Gottes sein darfst. Das genügt. Es ist Advent. Wenn du dieses Wort glaubend und liebend sagst, zieht in das Jetzt dieses Wortes ein die heilgewordene Vergangenheit deines Lebens und die Zukunft, die ewig ist und grenzenlos. Denn es zieht in das Herz ein der, der da Advent selbst ist. Die schon ankünftige Zukunft ohne Grenzen, der Herr, der in die Zeit des Fleisches schon gekommen ist, um sie zu erlösen.
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