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Ungeschuldetheit und Wesen der Anschauung Gottes

Selbstmitteilung Gottes an den konkreten Menschen

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Karl Rahner SJ

Mit Anschauung Gottes ist gewöhnlich im theologischen Sprachgebrauch das Ganze des vollendeten Heiles (wenn auch mit einer gewissen terminologischen Überbetonung des intellektuellen Momentes an diesem ganzen und einen Heil) in der vollen und endgültigen Erfahrung der unmittelbaren Selbstmitteilung Gottes selbst durch den in freier Gnade zu einem absoluten und zur vollen Verwirklichung gelangten Willen Gottes zu dieser Selbstmitteilung an den konkreten Menschen gemeint. Insofern dieser absolute Wille (wirksame Gnade des vollendeten Heiles in Prädestination) den Einzelnen trifft als Glied der erlösten Menschheit in Christo und wegen Christus, impliziert der Begriff konkret (wenn auch nicht formal) auch die Einheit der Erlösten und Vollendeten im vollendeten Reich Gottes, den «Himmel» als die Gemeinschaft der Seligen mit dem verklärten Herrn auch in seiner Menschheit und untereinander, also die Vollendung der Gemeinschaft der Heiligen. Als endgültige, unaufhebbare Vollendung der Tat Gottes am Menschen und der menschlichen Freiheit (die frei das Endgültige will) ist die Anschauung Gottes «das ewige Leben». Insofern die «Zeit»-Differenz (soweit sie gedacht werden kann und muß) zwischen der Vollendung des einen Menschen in seine geistig-personale Dimension und der Vollendung in seine leibliche Dimension hinein letztlich unerheblich ist, insofern die Schrift immer die eine ganze Vollendung des Menschen meint und sie nur von verschiedenen Aspekten anvisiert und sie darum einmal als Auferstehung des Fleisches vorstellt (1 Kor 15), die die ganze Vollendung meint, das andere Mal als «Sein mit Christus» (Phil 2,23) in dem «Schauen Gottes von Angesicht zu Angesicht» (1 Kor 13, 12), darf unbefangen auch die Vollendung der Leiblichkeit des Menschen in den konkreten Begriff der Anschauung Gottes eingetragen werden, zumal es eine theologisch offene Frage ist, ob nicht doch auch die Anschauung Gottes durch die leibliche Verklärung des Menschen einen «Zuwachs» erhält, d.h. konkret auch von dieser mitbestimmt wird.

Ungeschuldetheit der Anschauung Gottes

Die Anschauung Gottes ist als personal freie Selbstmitteilung Gottes und als Höhepunkt der übernatürlichen, d.h. jeder geistigen Kreatur im Voraus zu einer eventuellen Sündigkeit und Unwürdigkeit ungeschuldeten Gnade schlechthin ungeschuldet (D 475), das Wunder radikaler Liebe Gottes, die von ihrem Adressaten her nie eine Forderung der Gerechtigkeit oder Billigkeit oder eine bloße Konsequenz ihres Wesens sein kann. Die Anschauung Gottes ist zwar die denkbar vollendetste Verwirklichung einer geistigen Kreatur, insofern diese auf Sein und Wahrheit und Wert eine schlechthin unbegrenzte Offenheit hat. Da aber diese unbegrenzte «Transzendentaltät» des Menschen auch einen Sinn und eine Funktion hat, wenn sie nicht durch die Selbstmitteilung Gottes erfüllt wird, nämlich die Konstitution von sinnhaftem, geistigem, interkommunikativem Leben in Freiheit, Geschichte auf Endgültigkeit des Besitzes solchen Lebens hin, was alles ohne solche Transzendenz nicht möglich ist, so ist die vollendete Selbstmitteilung Gottes auch einer geistigen Kreatur als solcher gegenüber (als «Natur») freie Gnade und kann doch die (letztlich einzig absolute) Vollendung der geistigen Kreatur sein. Diese Gnadenhaftigkeit der Anschauung Gottes bestreitet nicht, daß in der faktischen Ordnung der Wirklichkeit die geistige Kreatur von Gott frei gewollt ist, weil er sich selbst frei mitteilen wollte, Natur also ist, weil Gnade sein sollte, daß also in jeder freien Kreatur eine unzerstörbare Hinordnung auf Anschauung Gottes (ein «übernatürliches Existenzial») gegeben ist, mit der der höchste «Anspruch» der geistigen Kreatur und der letzte Sinn und das Ziel des Dramas ihrer Geschichte eben die Anschauung Gottes ist.

Wesen der Anschauung Gottes

1. Was das letzte Wesen der Anschauung Gottes (also im engsten Sinn) angeht, so ist a) davon auszugehen, daß das spezifische Wesen des kreatürlichen Geistes geistige Erkenntnis und Liebe in einer radikalen Einheit und gegenseitigen Bedingung ist, und zwar in Interkommunikation geistiger Personen. Es ist b) zu beachten, daß «Heil», und zwar gerade als endgültiges, die Vollendung der geistigen Person als solcher und ganzer meint, also vor allem ihres spezifischen Wesens, das sie von untergeistigem Seienden unterscheidet. Es ist c) zu bedenken, daß, wenn diese Vollendung des Menschen in der gnadenhaften Selbstmitteilung Gottes besteht, eine solche Vollendung von Anfang ihres Begriffes an nicht davon absehen kann, daß dieser Gott notwendig der trinitarische ist, daß die ökonomische Trinität die immanente ist, da dies von der ganzen christologischen und pneumatologischen Struktur der Heilsgeschichte, deren Vollendung die Anschauung Gottes ist, bestätigt wird. Wenn von einer «Teilnahme an der göttlichen Natur» gesprochen wird, darf nicht übersehen werden, daß diese notwendig in drei distinkten Subsistenzweisen ist und gegeben wird zur Unmittelbarkeit zwischen Gott und der geistigen Person des Geschöpfes, also Unmittelbarkeit des Geschöpfes zu Gott als Vater, Sohn und Geist besagt.

2. Dennoch ist es natürlich richtig, daß sich aus dem Wesen der Sache heraus die Anschauung Gottes am besten von ihrer intellektuellen Seite her beschreiben läßt. Daher wird sie als Erkennen Gottes, wie er ist, von Angesicht zu Angesicht, ohne Spiegel und Gleichnis, als Schauen im Gegensatz zum Hoffen, schon in der Schrift beschrieben (1 Jo 3,2; 1 Kor 13,12; vgl. Mt 5,8; 18,10; 2 Kor 5,7). Die Parallele dieses Erkennens zum Erkanntsein durch Gott (1 Kor 13,12) betont den personalen Charakter der gegenseitigen Liebesannahme und Selbstmitteilung im Unterschied zu einem rein objektivistischen Kenntnisnehmen. Dementsprechend beschreibt Benedikt XII. (D 530) die Anschauung Gottes als Visio intuitiva et facialis der Wesenheit Gottes, deren Eigenart darin besteht, daß kein von Gott verschiedenes Objekt diese Erkenntnis vermittelt, sondern das göttliche Wesen selbst sich unmittelbar, klar und offen zeigt (D 530; vgl. auch D 693). Die theologische Spekulation fügt dem mit Recht hinzu, daß die realontologische Bestimmung der kreatürliche Erkenntnisfähigkeit, durch die diese aktuiert werden muß zur unmittelbaren Erkenntnis Gottes, nochmals Gott als er selbst sein muß, der selbst in einer quasi-formalen Weise die notwendige Funktion einer «Species impressa» für die Erkenntnis erfüllt. Wenn und insofern dabei doch auch eine kreatürliche realontologische Bestimmung des Geistes erforderlich ist (das «Lumen gloriae» als Vollendung des Glaubenshabitus: D 475), so ist ihr Verhältnis zur quasi-formalen Selbstmitteilung Gottes zur Anschauung Gottes ebenso zu bestimmen wie das Verhältnis zwischen «geschaffener» und «ungeschaffener» Gnade. Die Anschauung Gottes hebt natürlich die Unbegreiflichkeit Gottes nicht auf (D 428 1782), sie ist vielmehr die unmittelbare Erfahrung und liebende Bejahung Gottes als des Unbegreiflichen, dessen Geheimnis nicht bloß die Begrenzung endlicher Erkenntnis, sondern deren letzter positiver Grund und letztes Ziel, deren Seligkeit ist, die «ekstatische» «Aufhebung» der bleibenden Erkenntnis in die Seligkeit der Liebe. In Gott werden, insofern er der Ursprung und das Ziel aller außergöttlichen Wirklichkeit ist, auch alle anderen Wirklichkeiten geschaut und geliebt, in der Weise und dem Maß sie einen «angehen» (vgl. Thomas, S. th. III q. 10 a. 2).

Weitere Hinweise und Quellen

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