Hilfe für Kirche in Venezuela – riesiges Erdölvorkommen, 19000 Gewaltstote und ohne Güter des täglichen Bedarfs

Msgr. Padrón Sánchez, Bischofskonferenz, über den Notstand in Venezuela

Die Lage in Venzuela bleibt für die Menschen angespannt. Das Land, das riesige Erdölvorkommen hat, produziert heute fast nichts mehr. Beinah alles muss importiert werden – sogar die Güter des täglichen Bedarfs sind Mangelware. Dazu gibt es jährlich über 19‘000 Tote durch Gewalt – auch die katholische Kirche und die anderen Kirchen sind davon betroffen. Das YouTube-Video «Venezuela at the crossroads» von Catholic Radio TV Net handelt ebenfalls über Venezuelas Notsituation (in Englisch). Aber auch der Vorsitzende der venezolanischen Bischofskonferenz, Msgr. Diego Rafael Padrón Sánchez, gibt im folgenden Interview mit Kirche in Not Auskunft zur prekären Situation in seinem Land.

Venezuela – Ein Jahr nach den Wahlen

Interview mit S.E. Msgr. Diego Rafael Padrón Sánchez, Erzbischof von
Cumaná and Präsident der venezolanischen Bischofskonferenz

Kirche in Not: Zusammen mit anderen Mitgliedern der Venezolanischen Bischofskonferenz waren Sie in Rom und wurden dort von Papst Franziskus empfangen. Was hat er Ihnen gesagt?
Erzbischof Sánchez: Das Gespräch mit Papst Franziskus am 26. September war für uns eine Gelegenheit, ihm unsere Verbundenheit und Treue zu bezeugen. Und wir haben ihm von der Bedeutung und Ausrichtung des venezolanischen Plenarkonzils berichtet, von unserer Einheit als Kirche und den Sorgen in unserem Land.
Kirche in Not: Der Heilige Vater hat die Kirche in Venezuela gebeten, offen und allen Menschen nahe zu sein, um Frieden und Versöhnung im Land zu fördern. Ist das etwas Neues?
Erzbischof Sánchez: Tatsächlich hat der Papst sehr auf Nähe zum Volk bestanden und die Mittlerrolle der Kirche im Dialog zwischen den verschiedenen Parteien, zwischen den Regierungsanhängern und der Opposition im Land, betont.
Kirche in Not: Damit ein Dialog stattfindet, muss es zwei Gesprächspartner geben. Die Kirche ist bereit zum Dialog, aber es ist nicht immer leicht gewesen, diesen einzuleiten, und oft sind nichts als Versprechungen und leere Worte dabei herausgekommen. Meinen Sie, dass die heutige Lage besser ist?
Erzbischof Sánchez: Ich würde sagen, es hat sich ein Weg angebahnt. Das heisst, beide Seiten haben Schritte unternommen und es hat sich eine Tür geöffnet, die früher verschlossen war. In diesem Sinn wage ich zu behaupten, dass sich die Beziehung zwischen Kirche und Regierung verbessert hat. Jetzt erkennt die Regierung die Kirche als Gesprächspartnerin an, und nach unserem letzten Treffen auch als Mittlerin zwischen den oben genannten Parteien.

Kirche in Not: Und die Opposition? Oft wird die Kirche wegen ihrer Mittler- und Versöhnungsrolle von Mitgliedern beider Seiten kritisiert, weil jeder sie gerne auf seiner Seite hätte…
Erzbischof Sánchez: Wir haben uns auch mit den Anführern der Opposition getroffen und führen auch mit ihnen einen Dialog. Da wir frei für das Gesamtwohl des Volkes handeln und nicht für eine konkrete Partei, habe ich keine Kritik feststellen können, weil wir mit beiden Seiten eine Dialog führen. Man würde uns kritisieren, wenn wir mit keiner oder nur mit einer Seite sprechen würden.
Kirche in Not: Am 7. Oktober jährt sich die Wiederwahl des verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez, der nach einer langen Krankheit von Maduro ersetzt worden ist, wogegen die Opposition protestiert hat. Dieses letzte Jahr war sehr bewegt für Venezuela. Wie ist Ihre Bilanz dieses Jahres? Hat sich etwas verändert?
Erzbischof Sánchez: Natürlich hat es Veränderungen gegeben, und gleich an erster Stelle, weil Maduro nicht Chávez ist. Zwar bezeichnet sich Präsident Maduro als „Sohn von Chávez“, der dessen Schritten folgt, aber mit seiner Regierung beginnt eine neue Etappe. Für ihn ist alles neu und er ist neu in allem. Bis jetzt fällt die Bilanz klar negativ aus. Die Pläne von Präsident Maduro sind stets Notfallpläne, unmittelbare Reaktionen auf die jeweilige Situation.
Kirche in Not: Uns erreichen höchst besorgniserregende Nachrichten über den Mangel an allerlei Produkten, selbst grundlegende wie Nahrungsmittel und Hygieneartikel… Es scheint, dass gegenwärtig die Nahrungsmittel de facto in vielen Teilen Venezuelas rationiert sind, weil man sie nicht aufbringen kann. Maduro hat vor kurzem einen Vertrag mit Kolumbien unterschrieben, um Nahrungsmittel im Wert von 600 Millionen Dollar zu importieren. Ist die Situation so drastisch wie sie beschrieben wird?
Erzbischof Sánchez: Auf jeden Fall. Sie ist drastisch, denn wir haben uns von einem Exportland zu einem Importland entwickelt, von einem Land, in dem es alles gab zu einem Land, in dem es an den elementarsten Produkten mangelt. Aber ich darf von dieser Knappheit nicht reden, denn es ist verboten.
Kirche in Not: Venezuela war ein reiches Land. Ist es das immer noch so?
Erzbischof Sánchez: Sie haben zu Recht gesagt, dass es ein reiches Land war. Es ist weiterhin reich, wenn man es am Potential des Volkes, der Fruchtbarkeit seiner Böden und der Fülle an Bodenschätzen bemisst, aber es ist arm an Produktionsmittel und Produktionssystemen: heute produziert Venezuela fast nichts. Ich wiederhole: Alles kaufen wir vom Ausland, sogar zu hohen Preisen. Andererseits wird die nationale Währung abgewertet. Aus diesem Grund sind die Leute ärmer, auch wenn mehr Geld im Umlauf ist, und sie merken, dass das Geld nicht ausreicht.

Kirche in Not: Noch besorgniserregender sind die Nachrichten über die Gewalt im Land. Auch die Kirche ist von diesem Problem betroffen: die Einrichtungen der Bischofskonferenz in Caracas sind im Zeitraum von zwei Wochen gleich neun Mal überfallen worden. Und das in einem Land, in dem es jährlich 19.000 Tote durch Gewalt gibt. Gibt es Worte dafür? Kann man diese Gewaltwelle aufhalten?
Erzbischof Sánchez: Nicht nur die katholische, sondern auch andere Kirchen sind betroffen. Aber das ist nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist, dass es heute kaum noch eine Familie gibt, die nicht so einen Fall zu betrauern hätte. Darin sind wir wirklich alle gleich; die Gewalt macht weder vor Regierungsanhängern noch vor Oppositionellen halt, weder vor Kapitalisten noch vor Sozialisten. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass sich dies ändern kann und wird. Leider sind die Massnahmen der Regierung unzulänglich, denn es reicht nicht, die Symptome und Auswirkungen zu bekämpfen. Man muss gegen die Ursachen vorgehen.
Kirche in Not: Um nicht nur Trauriges zu berichten, lassen Sie uns den Weltjugendtag in Brasilien erwähnen, an dem so viele venezolanische Jugendliche teilgenommen haben und den Lateinamerikanischen Missionskongress in Maracaibo. Der Kirche in Venezuela fehlt es nicht an Lebendigkeit. Welche Bedeutung wird der Missionskongress in Maracaibo haben?
Erzbischof Sánchez: Ja, es ist nicht alles dunkel. Trotz Schmerz und Trauer über die aktuelle schwere Lage lassen sich die Jugendlichen nicht entmutigen. Vor allem mit der Kirche verbundene Jugendliche haben den Mut, sich den neuen Herausforderungen zu stellen. Trotz der extrem schwierigen Wirtschaftslage haben 6.000 Jugendliche aus Venezuela am Weltjugendtag teilgenommen, und diese hohe Zahl ist ein Zeichen der Hoffnung. Unsere Jugend steht für Kühnheit und Hoffnung, die Katholiken sind stolz auf sie. So dürfte es auch beim Amerikanischen Missionskongress sein, der mit Gottes Hilfe ein aussergewöhnliches Ereignis im Jahr des Glaubens sein wird. Für uns alle ist das eine Gelegenheit, zu zeigen, das Leben, Solidarität und Mission eine Einheit bilden. Das ist ein wichtiger Beitrag des Missionskongresses für das Land und die Kirche.
Kirche in Not unterstützte im Jahr 2012 Projekte in Venezuela mit rund CHF 785 000.

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