Zurück ins Leben finden – die Fazendas da Esperança von Sao Paulo in Brasilien

Eine christliche Farm der Hoffnung für die Reintegration von Menschen

Der Missbrauch von Drogen, Alkohol und Zigaretten forderte seinen Tribut. „Ich hatte Albträume und alle möglichen Schmerzen. Die ersten Wochen waren sehr schlimm“, erzählt der 24-jährige Leandro, der auf der Fazenda da Esperança (Farm der Hoffnung) in Guaratingueta bei Sao Paulo lebt. Leandro hatte mit 12 Jahren begonnen, exzessiv zu trinken, später kamen Marihuana und Kokain dazu. „Ich konnte meine Schule nicht beenden“, erzählt er. Der junge Mann spricht hastig; man merkt ihm an, dass er seine Geschichte schnell loswerden möchte. Nach der Scheidung seiner Eltern – da war er 18 Jahre alt – kam er an Crack. Autodiebstähle lieferten das Geld dafür. „Ich geriet immer tiefer in die Droge, dann bekam ich schlimme Depressionen“. Erst ein Gespräch mit seiner Mutter brachte ihn zum Entschluss, sich behandeln zu lassen. „Ich habe verstanden, dass ich nicht nur auf die Fazenda da Esperança gekommen bin, um von den Drogen zu lassen, sondern um mein Leben grundlegend zu ändern“, erzählt er.

Ohne Radio, TV und Internet

Rund 140 Männer wie Leandro leben auf der Fazenda da Esperança in Guaratingueta. In Gruppen von bis zu 15 Personen arbeiten, beten und kämpfen sie ein Jahr lang zusammen.

Jeder Tag steht unter einem Motto, einem einfachen christlichen Grundsatz oder Bibelwort wie „Liebe deinen Nächsten“. Es gilt, „zu lernen, sich und den anderen wieder wahrzunehmen und mit den eigenen Gefühlen umzugehen“, so Christine Magg. Im Laufe ihrer Zeit auf der Fazenda erkennen die Männer “dass auch sie einen Wert haben, ja mehr noch, ein Geschenk Gottes sind“. Die gebürtige Augsburgerin arbeitet seit sechs Jahren für die Fazenda. Um das Leben der Rekuperanten – so nennen sich die Bewohner der Fazendas – nachzuempfinden, lebte sie ein Jahr lang wie sie: isoliert von der Aussenwelt, ohne Radio, Fernsehen, Internet. „Jeder Stein stammt von hier“, erzählt sie bei einem Rundgang durch die Fazenda. Alles hier ist liebevoll angelegt. Überall sprießen Blumen; es duftet nach Zitronengras und verschiedenen Blüten; Vögel zwitschern; Katzen und Hunde springen umher. Für jemanden, der die Hölle kennt, muss es das Paradies sein. Und das Paradies wird gepflegt. Alle achten auf Nachhaltigkeit. Beim Bau eines neuen Gebäudes werden Materialien aus der Umgebung verwertet, selbst der Müll.

Über 15.000 Geheilte

Die Fazendas entstanden quasi aus dem Nichts heraus. Es begann in den 70er Jahren: Einem jungen Gemeindemitglied namens Nelson gingen die Predigten von Franziskanerpater Hans Stapel nicht aus dem Kopf. Der Priester war als Aushilfspfarrer nach Guaratingueta gekommen und predigte die Nächstenliebe von der Kanzel herunter. Nelson beschloss, den Drogenabhängigen in seiner Nachbarschaft zu helfen. Aus dem ersten Kontakt entstand bald eine feste Gruppe von Leuten, die von ihrer Drogensucht befreit werden wollten. Sie trafen sich wöchentlich und baten um eine Bleibe, die sie von ihrer gewohnten Umgebung isolierte: die erste Fazenda war geboren. Immer mehr Leute baten um Aufnahme und Nelsons Cousine gründete die erste Fazenda für Frauen. Seitdem haben sich die Fazendas rasant verbreitet. Mehr als 15.000 Menschen sind bereits auf den Farmen der Hoffnung geheilt worden. 95 Fazendas gibt es weltweit, 30 weitere stehen kurz vor der Gründung. Je nach Kultur und Land wird die Art der Therapie angepasst, die Grundstrukturen sind überall gleich: Arbeit, Gemeinschaft und Gebet. Man muss nicht katholisch sein, um auf der Fazenda leben zu können, aber jeder Rekuperant soll um der Gemeinschaft willen an den Gebetszeiten teilnehmen. „Es war auch schon ein Moslem da, der hier mehr als zuvor in seinem Koran gelesen hat“, erzählt Christine Magg.

Dem 16jährigen Arthur hilft das Gebet sehr, von der Sucht loszukommen. Mit 13 Jahren hatte er zum ersten Mal Drogen ausprobiert – aus Neugierde und Langeweile. Er wuchs in einem gutbürgerlichen Elternhaus auf, das ihm nichts verwehrte. „Ich begann, Drogen zu verkaufen und zu stehlen. Meine Mutter schämte sich, meine Nachbarn mochten mich nicht. Ich nahm Kokain und beging Raubüberfälle, dann wurde ich festgenommen. Als ich freikam, nahm ich meinen alten Lebensstil wieder auf“, erzählt er. Doch er merkte, dass ihn dieser Lebensstil weder zufriedenstellte noch Frieden in seine Familie brachte. Über seine Schwester, eine Freiwillige auf der Fazenda, kam er nach Guaratingueta. „Ich möchte mein Leben ändern und meine Schule beenden“, sagt er.

Eine Erfolgsgeschichte: 30 Jahre Fazenda in Guaratingueta

In diesem Jahr begeht die Fazenda in Guaratingueta ihr 30jähriges Jubiläum. Zu den Feierlichkeiten werden 6.000 Besucher erwartet. Es werden viele ehemalige Rekuperanten kommen. Wer könnte besser verstehen, was die Rekuperanten durchmachen? Eine ganze Reihe Ehemaliger und weitere zahlreiche Laien, Priester und Ordensleute haben sich zu einer seit 2010 päpstlich anerkannten Gemeinschaft zusammengeschlossen, die sich „Família da Esperança“ (Familie der Hoffnung) nennt und mit Gebet und Tatkraft zum „Erfolg“ der Fazendas beiträgt. Allein 40 katholische Gemeinschaften helfen den Fazendas geistlich und aktiv.

„Wenn du hier helfen willst, musst du einfach nur den Willen haben, zu lieben“, sagt Christine Magg. Was so einfach klingt, ist eine tägliche Herausforderung – für die Rekuperanten und die Freiwilligen. Und doch gelingt es immer wieder.
Kirche in Not unterstützt jährlich Projekte der Fazendas weltweit mit rund 1 Million CHF.

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